Das Interview ist weiter unten ebenfalls auf Englisch zu lesen.
Was ist Mitgefühl vom buddhistischen Standpunkt aus betrachtet?
Es ist eine sehr menschliche Reaktion auf jede Form von Leiden, das irgendjemand erlebt. Mitgefühl ist der Wunsch, das Leiden zu lindern und auch der Wunsch, aktiv etwas dafür zu tun. Die Lehren des Buddha blicken tief in die Ursachen des Leidens. So umfasst eine wahrhaft mitfühlende Reaktion den Wunsch, sowohl die Ursachen des Leidens abzustellen als auch das Leiden, das an der Oberfläche sichtbar wird.
Warum meinst du, dass Mitgefühl gerade in unseren Zeiten so wichtig ist?
Die Bedeutung von Mitgefühl ist zeitlos. Es ist leicht zu erkennen, welchen Unterschied es ausmachen würde, wenn Mitgefühl eine zentrale Rolle in unserer gegenseitigen Wahrnehmung spielen würde. Aber ein großes Problem in der modernen westlichen Welt ist, dass wir oft hart zu uns selbst sind und uns manchmal sogar hassen. Daraus entsteht eine Menge Leiden. Wir reagieren nicht annähernd so freundlich und mitfühlend auf unser eigenes Leiden (besonders geistiges und emotionales Leiden), wie wir es manchmal bei anderen tun. Daher ist Mitgefühl für uns selbst (natürlich nicht in einer egozentrischen oder narzisstische Weise) ein wesentliches Element.
Heutzutage scheint es wichtiger zu sein, sich gegen Konkurrenten durchzusetzen und stark zu wirken. Wie kann Mitgefühl mir dabei helfen bzw. passt Mitgefühl überhaupt da hinein?
Mitgefühl macht uns stärker, aber nicht in einer aggressiven Art und Weise, sondern dadurch, dass es uns innere Kraft und Belastbarkeit sowie die Fähigkeit verleiht, mit den Herausforderungen des Lebens fertig zu werden. Das geschieht ganz natürlich, wenn wir beginnen, mit mehr Mitgefühl auf das Leiden in der Welt zu reagieren, denn das unterläuft die Tendenz, dass wir uns nur mit unseren eigenen Angelegenheiten und Ängsten beschäftigen. Denn wenn wir uns immer nur für das interessieren, was wir wollen und nur versuchen, das Leben so hinzukriegen, wie wir es gern hätten, werden wir schwach und angreifbar gegenüber dem dauernden Wechselspiel, das unser Leben darstellt – und selbst wenn wir die Dinge bekommen, die wir gern hätten, wissen wir, dass das nicht ewig so bleiben wird.
Mitgefühl: oft hören wir, dass Gefühle im Arbeitsleben keinen Platz haben – was hältst du davon? Kann Mitgefühl mir helfen, Stärke im Alltag zu entwickeln, und wenn ja, wie?
Zunächst mal müssen wir keinen Überschwang an Gefühlen haben, um mitfühlend zu sein. Als Individuen können wir Mitgefühl in unterschiedlicher Weise erleben. Manchmal frage ich Menschen, wer für sie ein Beispiel an Mitgefühl darstellt, und dann kommen immer dieselben Antworten: Nelson Mandela, der Dalai Lama, Mutter Theresa, Gandhi… wunderbare Beispiele sowohl für Mitgefühl als auch für innere Stärke und Erfolg.
Ist Mitgefühl nicht eher etwas für Frauen und Sozialarbeiter…?
Es ist für alle, die daran interessiert sind, tieferes Glück und Wohlergehen zu finden und mehr Sinn ins Leben zu bringen. Wir alle profitieren, wenn wir Gefühle von menschlichem Miteinander und Verbindung zu anderen erleben und nicht Einsamkeit und Isolation. Mitgefühl ist auch etwas, was jeder aus eigener Lebenserfahrung kennt. Was die tibetisch-buddhistische Tradition anbietet, ist eine breite Palette effektiver Methoden, unser Mitgefühl zu kultivieren und zu erweitern.
Mehr Mitgefühl, um die Welt zu verbessern – wie könnte das aussehen?
Es gibt so viele Konflikte auf der Welt, weil die Menschen Situationen aus einem Blickwinkel von „die und wir“ sehen. Wenn wir näher hinschauen, entdecken wir, wie eng wir miteinander verbunden sind und dass eine aggressive, selbstsüchtige oder selbstgerechte Haltung uns und andere schädigt. Ein Ansatz mit mehr Mitgefühl ist der einzig praktikable Weg, mehr Frieden und Harmonie auf die Weltbühne zu tragen und ebenso auf einer lokalen Ebene in unsere Gemeinden, an den Arbeitsplatz, in unsere Familien und persönlichen Beziehungen.
What is compassion from a buddhist point of view?
It’s a very human response to any suffering that anyone might be going through. Compassion is the wish to relieve suffering and also wanting to act to help bring that about. The teachings of the Buddha look very deeply at the causes of suffering and so a truly compassionate response embraces the wish to alleviate the causes of suffering as well as the manifest suffering we might see on the surface.
Why do you think compassion is so important especially in these times?
The importance of compassion is timeless and it’s not difficult to see what a difference it would make if compassion had a more central role in how we viewed each other, but in the modern western world there is a big issue around how we are hard on ourselves, sometimes even hating ourselves. A lot of suffering comes from this. We don’t respond nearly so kindly or sympathetically to our own suffering (especially mental and emotional suffering) as we do sometimes to the suffering of others. So compassion for ourselves (of course not in an egocentric or narcissistic way) is a crucial element.
Nowadays it seems to be more important to win out over competitors and to be strong. How can compassion help me in this? / How compassion fits here?
Compassion makes us stronger, not in an aggressive way but in giving us inner strength, resilience, and the capacity to meet the challenges of life. This happens naturally when we begin to respond to the suffering of the world with more compassion as it takes us out of any tendency to be preoccupied exclusively with our own concerns and anxieties. It is being obsessed with what we want and the never-ending search to get life just as we want it that makes us weak and vulnerable to the ever-changing nature of our lives – even if we get things the way we want them, we know it won’t last forever.
Compassion (Mit – Gefühl : in german the word has the two parts “ with feeling“)… often we hear that feelings have no place in everyday work… what do you think about that. Can Compassion help me to be strong in everyday work. if yes, how?
First of all, we don’t have to have a lot of gushing emotion to be compassionate. As individuals, we can experience compassion in very different ways. I sometimes ask people who they think of as being great examples of compassion and the same answers always come up; Nelson Mandela, the Dalai Lama, Mother Theresa, Gandhi… What wonderful examples of both compassion and also inner strength and success.
Is Compassion not rather something for women or social worker…?
It’s for anybody and everybody who is interested in finding deeper happiness and well-being and bringing deeper meaning to their life. We all benefit from feeling a sense of common humanity and connection with others rather than separation and isolation. Compassion is also something that everyone knows something about from their own life experience. What the Tibetan Buddhist tradition offers is a rich array of effective methods to cultivate and expand our compassion.
With more compassion to better the world – how can that work? There is so much strife in the world because of people looking at situations from a “them and us” point of view. When we look more deeply, we see how closely interconnected we are and that aggressive, self-centred, and self-righteous attitudes harm us as well as others. A more compassionate approach is the only practical way to bring more peace and harmony both on the world stage and also more locally in our communities, our workplace, our family, and in and personal relationships.